"Digitale Bibliothek", Zukunft des digitalen Erbes?

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Visionen für das digitale Erbe der Universitäten aus der Sicht der Archive
Klaus Graf

Zuletzt geändert: 2017-03-16

Abstract


In Fortführung von 2010 publizierten Überlegungen (http://d-nb.info/1010955330/34) soll es um die Frage nach der Zukunft der Archive und der Informationssysteme an den Hochschulen gehen. Der Beitrag vertritt radikale Thesen und bezweifelt entschieden, dass ein Durchwursteln nach dem Motto "Weiter so" den Anforderungen des digitalen Zeitalters genügen kann. Ein grundsätzliches Infragestellen der bisherigen Praxis könnte womöglich die angeführten Thesen plausibel erscheinen lassen.

1. Bibliothek, Archiv und wissenschaftliche Sammlungen (oder Museen) sollen sich mit der IT-Infrastruktur verbinden. Generell ist zu fragen, ob Ausbildung und Berufsbild der an den sogenannten "Gedächtnisinstitutionen" tätigen Bibliothekare,  Archivare und Museumskuratoren wie bisher getrennte Wege gehen.

2. Ein Institut für Hochschulgeschichte kann als Gedächtnis der Hochschule die Aufgaben des Hochschularchivs übernehmen und die analogen Materialien museal pflegen. Als "Bürgerarchiv" soll es service-orientiert auf seine Benutzer zugehen, für seine Schätze im Internet und in den Social Media werben. Die Interaktion mit den Benutzern soll Citizen Science ermöglichen und kollaborativ Wissen erarbeiten.

3. Forschungsdaten sind ein heißes Thema bei aktuellen konzeptionellen Planungen. Die gesetzliche Rolle der Hochschularchive wird dabei stets übersehen, Hochschularchivare werden nicht in die Entscheidungsprozesse einbezogen. Sind an der Hochschule entstandene Forschungsdaten nicht mehr für die Forschung relevant, können sie nicht weg, sondern sind dem zuständigen Archiv anzubieten, das womöglich einen wissenschaftsgeschichtlichen Wert diagnostiziert - die Daten sind also immer noch forschungsrelevant (nämlich für die Erforschung der Wissenschaftsgeschichte). Eine dauernde Aufbewahrung und (möglichst bequeme) digitale Nutzung als Archivgut von Forschungsdaten liegt daher nahe.

4. Open Access und Open Data (im Rahmen von Open Science) sind als Grundprinzipien für den Zugang zum informationellen Universum der Hochschulen zu verankern. Das Teilen der Daten mit allen Interessenten muss Standard sein. Für den Bereich der Lehre ist auf Open Educational Resources zu setzen.

5. Informationsfreiheit und Transparenz sind als globale Werte der westlichen Demokratien enorm im Aufwind. Das Verwaltungsgeheimnis hat vor diesem Hintergrund ausgedient. Bestimmte strategische Planungen und Betriebsgeheimnisse, alles, was mit dem Persönlichkeitsrecht und einem wohlverstandenen Datenschutz zusammenhängt - außer solchen Unterlagen sollte alles den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen. Die Universitätsklauseln in den deutschen Informationsfreiheitsgesetzen sind nicht zielführend.

6. Wenn sowohl Verwaltungsinformationen und Forschungsdaten in komfortablen IT-Infrastrukturen für Verwaltung, Wissenschaftler und Bürger betreut werden - wieso sollte man sie dann irgendwann in die Obhut knöcherner Archivare geben, die zumindest derzeit nur über mickrige Archivsoftware verfügen und tendenziell eher obrigkeitshörig und keinesfalls glühende Verfechter von Informationsfreiheit und Transparenz sind?

7. Die rasant zunehmenden Möglichkeiten von Volltextrecherchen und Data-Mining fordern die archivische Bewertungs-Theorie heraus, die bei Massenakten traditionell auf eine Zufallsauswahl setzt und eine vollständige Überlieferung (auf Dauer) tabuisiert. Langzeitarchivierung großer Datenmengen ist möglich (und alternativlos).

8. Es spricht somit alles dafür, bei der Pflege des digitalen Erbens von den bisher begangenen Pfaden mutig abzuweichen.

 Klaus Graf